Schikaniert und vertrieben

Letzte Stolperstein-Verlegung in Riedstadt am 26.Oktober im Stadtteil Erfelden

Riedstadt – Die Schwestern Jenny und Martha Sternfels wuchsen in Erfelden auf und führten gemeinsam das von den Eltern geerbte Geschäft mit Kolonial-, Glas- Haushaltswaren und Versicherungen in der heutigen Neugasse 61. Doch ab 1933 wurde das Geschäft boykottiert und die jüdischen Schwestern so schikaniert, dass sich Martha nicht mehr aus dem Haus wagte.

Bei der letzten Stolpersteinverlegung in Riedstadt am Samstag, 26. Oktober, im Stadtteil Erfelden werden unter anderem auch zwei Erinnerungssteine an die beiden Frauen angebracht, die 1934 ihr Geschäft verkaufen und 1935 nach Tel Aviv in Palästina fliehen mussten. Die Stolpersteine, ein Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig, erinnern inmitten ihrer früheren Wohnorte an die Opfer des Nationalsozialismus, die ausgegrenzt, verfolgt und zur Flucht getrieben oder ermordet wurden. Verlegt werden sie im Bürgersteig vor der letzten frei gewählten Wohnstätte.

Die beiden Schwestern hatten es in Palästina nicht leicht. Jenny arbeitete als Hausangestellte, wobei ihr Verdienst am Existenzminimum lag. Sie heiratete schließlich den Tischler Erich Elijah Hammerstein und bekam mit ihm drei Kinder. Nach drei Schlaganfällen in drei Jahren starb sie 1948. Ihre Schwester Martha vertrug die Hitze in Tel Aviv nicht, erkrankte an Gelbsucht und magerte ab. Ihre erste Ehe mit Rudolf Erich Germersheimer wurde geschieden. 1943 heiratete sie den Gärtner Otto Shimon Stern. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor: Sohn Ilam Alexander und Tochter Nomi Frida, geboren 1944 und 1950 in Tel Aviv. Martha Stern, geborene Sternfels, starb am 6. August 1987 in Tel Aviv.

Am 26. Oktober wird Gunter Demnig außerdem auf der Bahnstraße 10 vier Stolpersteine für die Familie May verlegen. Dort wohnte Isidor Mey mit Ehefrau Selma und den Kindern Elsa (geboren 1919) und Max (geboren 1921) und betrieb ein Geschäft mit Lagerhalle für Viehhäute. Bereits 1936 verkaufte er Hofreite mit Geschäft sowie die Lagerhalle und emigrierte mit Frau und Sohn 1937 in die USA. Tochter Elsa hatte schon vier Wochen früher fliehen müssen, weil sonst ihr Pass und Visa ungültig geworden wären.

Mit Unterstützung von Jakob May, einem deutschen Immigranten und erfolgreichen Geschäftsmann, der die Auswanderung einiger hundert deutscher Juden arrangierte, zog die Familie nach Nashville, Tennessee. Da sie den größten Teil ihres Besitzes nicht hatten mitbringen können, begann die Familie ihr neues Leben mit wenig mehr als ihrem Namen. Der bis zu der Judenverfolgung erfolgreiche Geschäftsmann Isidor May arbeitete nun in der Sockenfabrik May Hosiery Mills in Nashville, fegte dort Böden und verrichtete ähnliche andere Tätigkeiten. Die Mays zogen außerdem ihren Neffen Irving Kaufmann groß, der als 13jähriger alleine in die USA gekommen war. Seine Eltern wurden im Holocaust ermordet. Isidor May starb 1955, die Ehefrau Selma 1979.

Elsa arbeitete zunächst in Nashville und verrichtete Schreibarbeiten. 1941 oder 1942 zog sie nach Chicago, arbeitete dort in einem Warenhaus und lernte John Herzfeld kennen, Mediziner und ebenfalls deutscher jüdischer Einwanderer. Sie heirateten 1943. John ging zur US Armee und das Paar zog mehrmals innerhalb des Landes um, weil er in verschiedene Stützpunkte versetzt wurde. Im Frühjahr 1944 wurde John im Kriegsgebiet im Pazifik stationiert und die schwangere Elsa kehrte zu ihren Eltern nach Nashville zurück, wo ihr Sohn Bob im Oktober 1944 geboren wurde. Elsa und John lebten bis 1996 in Nashville, dann zogen sie nach Montgomery, Alabama, wo auch Sohn Bob lebte. John starb 2003, Elsa 2012.

Max zog ebenfalls nach Chicago und ging zur US Armee. Er war im Krieg in Europa eingesetzt und kehrte nach Kriegsende nach Nashville zurück. Er arbeitete dort zunächst als Einkäufer für Kaufhäuser und zog dann nach Memphis, Tennessee. Er heiratete die Holocaustüberlebende Rosemary Cremer, zog 1960 wieder nach Nashville zurück und eröffnete ein Bekleidungsgeschäft. Sie hatten zwei Kinder, Rick und Emily. Max starb 1973, Rosemary 1998.

Die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung treffen sich am 26. Oktober um 11:00 Uhr gegenüber dem Gasthaus „Zur Krone“, Wilhelm-Leuschner-Straße 2. Wer einen Fahrdienst benötigt, kann sich an den Vorsitzenden des Fördervereins für jüdische Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau, Walter Ullrich, wenden (Telefon: 06147 8361).

Mit der Veranstaltung wird das Projekt in Riedstadt nach elf offiziellen Verlegeterminen mit Gunter Demnig weitgehend abgeschlossen. Vermutlich im Frühjahr 2020 soll vor der ehemaligen Synagoge in Erfelden noch eine Art Schiene mit Hinweis auf die religiöse Stätte in den Bürgersteig eingelassen werden. Das wird dann der endgültige Schlusspunkt der Stolpersteinaktion für Riedstadt sein.

ggr

Bildunterschrift:

Das Anwesen Bahnstraße 10 in den vierziger Jahren. Foto: Walter Ullrich

 

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