AKW–Projektgruppe zum fünf Jahre unter Verschluss gehaltenen Klimagutachten
DARMSTADT – Mit der Veröffentlichung des Klimagutachtens 2017 ist nun eine Prognosekarte für die Jahre nach 2041 zugänglich, die seit fünf Jahren unter Verschluss gehalten wurde: Sie zeigt den klimatischen Zustand der Stadt im Zuge des Klimawandels. Zugrundegelegt wurde ein mittlerer und wahrscheinlichster Erderwärmungspfad des Weltklimarates (A1B–Szenario). Das Ergebnis ist vor allem für die Kernstadt dramatisch: Sie driftet nahezu stadtflächendeckend in den tiefroten Bereich „starker Überwärmung“.
Weil das Klimagutachten jahrelang in den Schubladen verschwunden ist, hat es auch keine korrigierenden Auswirkungen auf die Stadtentwicklungspolitik entfaltet. Nötig wäre eine vorwärtsdenkende Ausweitung kühlender innerstädtischer Grünräume gewesen. Stattdessen wurden freiwerdende Flächen systematisch und hoch verdichtet mit aufheizenden Großbauten versiegelt, die über 2041 hinaus stehen werden. Die lange Liste reicht von den ehemaligen Springer–, Echo– und Nährengel–Flächen bis zur Lincoln–Siedlung und soll sich noch fortsetzen. Nach einer Aufstellung der WGD aus dem Jahre 2021 wurden zudem 28 kleinere innerstädtische Grünflächen in Baugrundstücke umgewandelt.
Wegweisend wird der Umgang mit dem Marienplatz sein: angesichts der Klimaprognose wäre hier ein neuer, kühlender, weil dicht mit Bäumen bewachsener, innerstädtischer Park erforderlich. Stattdessen soll hier eine hochverdichtete, aufheizende Wohn–Hochhausbebauung entstehen.
Auf diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, warum die Grüne Stadtregierung das Klimagutachten mit seiner dramatischen Prognose nicht veröffentlicht hat. Die Zukunft einer überhitzten Stadt wird durch das innerstädtische Bauprogramm vorgezogen und die klimatischen Auswirkungen auf die Stadtbewohner werden noch schneller wirksam.
Der Darmstädter Norden schneidet in der Prognose etwas besser ab. Auch er wird sich nach der Modellrechnung des Gutachtens aufheizen, aber moderater. Denn auch in der Zukunft würde die kühlende Wirkung der großen Ackerflächen und Bachauen wirksam bleiben (hellblau in der Klimakarte). Doch das soll sich nach dem städtischen Masterplan 2030+ gründlich ändern: Er sieht nicht nur zwei riesige Gewerbegebiete, sondern zahlreiche neue Wohnquartiere allesamt in stadtklimatisch wirksamen Grünräumen vor, deren kühlende Wirkung mit ihrer Bebauung entfällt. Das Klimagutachten konnte diesen erst später aufgestellten Masterplan nicht berücksichtigen. Der Masterplan verschwendet seinerseits keinen Gedanken an die klimatischen Folgen seines Wachstumsprogramms.
Die von der Stadt angedeutete Fortschreibung des Klimagutachtens müsste auf der Grundlage eines neuen Modells der in den letzten Jahren stark veränderten Stadt aufbauen, das einerseits die in der Kernstadt vollzogene und noch geplante bauliche Verdichtung berücksichtigt, andererseits all die neuen Masterplanbauflächen im Norden. Spätestens dann wird sich zeigen, dass die Aufheizung der Stadt – nun auch im Norden bei bebauten Masterplanflächen − kein ferner Zustand „nach 2041“ sein wird, sondern beschleunigt auf uns zukommt. Vom Klimagutachten 2017 bliebe die „Klimafunktionskarte“ als eminent wichtige Erinnerung an einen untergegangenen, besseren Istzustand 2016, sie bleibt Maßstab.
(PM)