Der Sportliche Leiter des SV Darmstadt 98 wird oft kritisiert – nicht immer zu recht
Carsten Wehlmann war gerade mal ein halbes Jahr Chefscout bei Holstein Kiel und acht Jahre Torwarttrainer bei den Hanseaten. Das behauptet zumindest das Internetportal transfermarkt.de. Und genau das wird immer wieder angeführt, wenn Menschen die Arbeit und Kompetenz Wehlmanns kritisieren. Das Problem: Es stimmt nicht.
Wehlmann, der am Sonntag 49 Jahre alt wurde, war in Kiel rund neun Jahre Chefscout und von 2010 bis 2015 zusätzlich Torwarttrainer, wie die Kieler bei Wehlmanns Abschied 2018 selbst erklärten. Und die sollten schließlich am besten wissen, was ihr Mitarbeiter für sein Geld getan hat. Somit war Wehlmann maßgeblich beteiligt am Durchmarsch der Kieler von der 4. Liga bis in die Relegation zur Bundesliga 2018.
Wenn man Wehlmann auf den Fehler in der Darstellung anspricht, erklärt er, er könne ja nicht alle Falschmeldungen klarstellen, die im Internet über ihn kursieren. Das sagt viel über seine Zurückhaltung aus, Aber es ist auch ein Baustein dafür, dass er in der Öffentlichkeit manchmal schlechter dasteht, als er es verdient hat.
Kein Eberl oder Schmadtke
Wehlmann ist kein Sportchef wie seine prominenten Bundesliga-Kollegen Max Eberl oder Jörg Schmadtke. Er ist kein Mitglied des Vorstands und hat auch keinen Geschäftsführer-Status. Er drängt nicht in die Öffentlichkeit, um mal mit einem wortgewaltigen Medienauftritt eine Krise wegzureden. Stattdessen arbeitet er lieber im Hintergrund. Im Gespräch ist er zurückhaltend, manchmal fast unsicher, dreht und wendet Zitate noch um ein „wollte“, „sollte“ oder „möchte“, ehe er sie für die Medien freigibt.
Aber er ist auch verbindlich und verlässlich. Er ruft die Journalisten eigentlich immer zurück und nimmt sich dann Zeit – auch wenn er oft nicht zitiert werden möchte und man vieles nur als Hintergrund-Information erhält. Das ist trotzdem keineswegs selbstverständlich bei Personen in dieser Position.
Aufstieg mit Schusters Abgang
Im Herbst 2018 kam Wehlmann aus Kiel nach Darmstadt. Zu Beginn war er noch Sportkoordinator. Nach sportlichen und internen Problemen war Trainer Dirk Schuster im Februar 2019 weg. Wehlmann wurde zum Sportlichen Leiter befördert und war fortan der neue mächtige Mann. Seine erste Amtshandlung: die Verpflichtung des damals als Coach weitgehend unbekannten Dimitrios Grammozis. Der wurde der erfolgreichste Lilien-Trainer der vergangenen fünf Jahre. Dass man sich nach gut einem Jahr nicht auf eine Vertragsverlängerung einigen konnte, lag dann sicher nicht an Wehlmann allein.
Als nächstes lotste Wehlmann seinen früheren Kieler Weggefährten Markus Anfang ans Böllenfalltor – vermutlich keine leichte Aufgabe bei einem so anspruchsvollen und groß denkenden Coach. Nach einer schwachen Hinrunde spielte das Team unter Anfang die beste Zweitliga-Rückrunde der Vereinsgeschichte. Dass Anfang zu Bremen weiterzog, lag am Coach selbst, dem Darmstadt wohl immer zu klein war. Aber immerhin gab es erstmals seit Jahren wieder eine Ablösesumme für einen Trainer.
Wehlmann und die Ablösesummen
Die Ewig-Gestrigen werden ihm für alle Ewigkeit vorwerfen, dass unter seiner Verantwortung der gebürtige Darmstädter Yannick Stark weggeschickt wurde – obwohl sich die Entscheidung sportlich und aufgrund der damaligen Vertragssituation durchaus rechtfertigen lässt. Denn: Stark war kein Stammspieler, der Kader musste verkleinert werden und sein Vertrag war der einzige eines Mittelfeldspielers, der auslief.
Aber Wehlmann war auch maßgeblich beteiligt an der Verpflichtung von Victor Palsson, der nun als 30-Jähriger mit einem ordentlichen Gewinn an Schalke weitergereicht wurde. Er holte Seung-ho Paik ablösefrei und verkaufte ihn für einen höheren sechsstelligen Betrag weiter. Mit dem Geld für Anfang brachten es die Lilien im laufenden Jahr auf einen Transfererlös von rund zwei Millionen Euro – so viel wie noch nie in Liga zwei. Und auch Potenzialspieler wie Tim Skarke, Patric Pfeiffer oder Mathias Honsak gehen auf Wehlmanns Konto. Doch egal, wie man die bisherige Transferbilanz Wehlmanns auslegt – gemessen wird er nun vor allem an der kommenden Saison.
Ein monotones Grundbrummen
Mit Trainer Torsten Lieberknecht hat er einen Trainer verpflichtet, der für Kontinuität steht – aber natürlich nur im Erfolgsfall. Geht es sportlich schief, wird das in einigen Fangruppen ohnehin schon monotone „Wehlmann raus“-Grundbrummen noch lauter werden. Die bisherigen Spieler-Verpflichtungen sind sinnvolle Ergänzungen, die andere Abgänge ersetzen oder Lücken füllen.
Maßgeblich wird jedoch vor allem sein, wie die Lilien die Abgänge von Torschützenkönig Serdar Dursun und Defensivchef Victor Palsson kompensieren. Es kann schiefgehen, es kann sein Meisterstück werden. Doch selbst im Erfolgsfall wird das monotone Grundbrummen über den langjährigen Kieler Torwarttrainer wahrscheinlich nicht verstummen.
Von Stephan Köhnlein