Gedenktafel für Opfer der Zwangssterilisierung

Foto aus dem Flyer zur Zwangssterilisierung.

Auch „75 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur gilt es, […] der Opfer zu gedenken […]“

DARMSTADT – Die Wissenschaftsstadt Darmstadt erinnert an das Schicksal zwangssterilisierter Frauen und Männer in der nationalsozialistischen Diktatur. Oberbürgermeister Jochen Partsch wird am Sonntag, 4. September um 11 Uhr, eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Opfer von Zwangssterilisierung enthüllen. Links des Seiteneingangs zum Klinikum/Gebäude 6, neben dem Zugang zum Erinnerungsort Liberale Synagoge, erreichbar über die Bleichstraße 19, wird die Gedenktafel der Öffentlichkeit vorgestellt.

„Diesen Männern und Frauen ist als Verfolgte des Naziregimes schweres Unrecht zugefügt worden. Über 75 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur gilt es, auch in Darmstadt der Opfer zu gedenken, denen das schwere Unrecht der Zwangssterilisierung angetan wurde. Dieses Gedenken schließt auch die von Leid und Stigmatisierung mitbetroffenen Angehörigen ein“, betont Oberbürgermeister Jochen Partsch.

Gedenktafel der Darmstädter Geschichtswerkstatt

Mit einer 48,5 mal 82 Zentimeter großen Tafel, die von der Darmstädter Geschichtswerkstatt initiiert wurde, wird mit folgendem Text der Opfer gedacht: „Während der nationalsozialistischen Diktatur sind in Deutschland ungefähr 350.000 Frauen und Männer durch Sterilisierung unfruchtbar gemacht worden. Zu Grunde lag ein rassistisches System, das 1933 mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ eingeführt wurde. Opfer waren nach der Rassenideologie des Naziregimes „Erbkranke“, die an einer geistigen oder neurologischen Erkrankung oder an erblichen Körperbehinderungen litten. Der Kreis der Opfer wurde nach 1933 um weitere, als „minderwertig“ eingestufte Menschen rasch vergrößert. Die chirurgischen Eingriffe durften nur in Krankenanstalten vorgenommen werden. Sie erfolgten auch im früheren Städtischen Krankenhaus und wurden von Ärzten an einer Vielzahl von Menschen ausgeführt. Anträge auf Sterilisierung stellten in der Regel die staatlichen Gesundheitsämter, auch jene in Darmstadt und Dieburg. Die Sterilisierungen wurden – von wenigen abgelehnten Anträgen abgesehen – von den Erbgesundheitsgerichten Darmstadt und Offenbach angeordnet und verursachten für die Opfer bleibende körperliche und seelische Schäden. Ihren Angehörigen wurde schweres Leid angetan.“

Für die unter dem Naziregime verübten Medizinverbrechen – vor allem an den Opfern der „Euthanasie“-Morde und der Versuche an KZ-Häftlingen – wurden im Nürnberger Ärzteprozess 1946/47 zahlreiche Täter zur Rechenschaft gezogen. Staatlich angeordnete Zwangssterilisierung jedoch wurde nicht als typisches NS-Unrecht eingestuft, die dafür Verantwortlichen kamen nicht vor Gericht. „Ein schweres Versäumnis“, wie Partsch hinzufügt.

„Erbkrankes“ Ergebnis führte zur „Unfruchtbarmachung“

Das 1934 in Kraft getretene „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ machte diese Zielsetzung zum Gesetz. Es stufte Menschen u. a. mit neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen und Körperbehinderungen als „erbkrank“ ein. Später wurden „Asoziale“ einbezogen, unter ihnen Sinti und Roma. Gesundheitsämter erhielten Hinweise auf sozial „Auffällige“ und Kranke, von Ärzten, Pflegeeinrichtungen und aus der Bevölkerung. Die Betroffenen mussten sich begutachten lassen. Lautete das Ergebnis „erbkrank“, stellte der Amtsarzt den Antrag auf „Unfruchtbarmachung“. Solche Anträge, z. B. an das Erbgesundheitsgericht Darmstadt, trugen u. a. die Unterschriften der Amtsärzte des früheren Gesundheitsamtes Dieburg und des damaligen Gesundheitsamtes Darmstadt.

„Ein besonderer Dank gilt Mechthild-Veronika Burckhardt, die auf die Archivbestände des früheren Gesundheitsamtes Dieburg aufmerksam gemacht hat, das von 1934 bis 1940 von ihrem Großvater Dr. Fritz Hofmann als Amtsarzt geleitet wurde“, ergänzt Partsch. Die Darmstädter Geschichtswerkstatt konnte die Archivbestände nur in einem ersten Schritt auswerten, eine umfassende Auswertung bedarf eines wissenschaftlichen Projekts.

Erst 1998 wurden die Beschlüsse der Erbgesundheitsgerichte vom Bundestag aufgehoben, 2007 erklärte der Bundestag das Gesetz von 1933 als „geächtet“ – aufgehoben wurde es jedoch nicht. Die Anerkennung der Opfer als NS-Verfolgte bleibt den Betroffenen bis heute verwehrt, ebenso eine Entschädigung für das erlittene Unrecht. Sie bleiben Empfänger sehr bescheidener Zahlungen aus einem Kriegsfolgen-Härtefonds. 2022 leben nur noch wenige von ihnen.

Die Flyer zur Gedenktafel liegen im Stadtfoyer am Luisenplatz 5 a zur freien Mitnahme aus.

(PS)

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