Vortrag von Suzanne Bohn zum Weltfrauentag mit Gedichten, Buchauszügen und Zitaten
Riedstadt – Die Freude war spürbar, nach langer Zeit mal wieder eine Veranstaltung des Kulturbüros und der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Büchnerstadt Riedstadt zu besuchen: Angeregt wurde vor Beginn des Vortrags von Suzanne Bohn in der mit den französischen Landesfarben und Europaflaggen dekorierten Christoph-Bär-Halle geplaudert und Wiedersehen gefeiert. Dazu hatte die Frauenbeauftragte Jennifer Muth ein Glas Sekt, beziehungsweise Orangensaft spendiert.
Vor Ausbruch der Pandemie war es über viele Jahre eine lieb gewonnene Tradition, dass Suzanne Bohn, Tochter einer Französin und eines Deutschen, zum Weltfrauentag in Riedstadt kurzweilige Vorträge über bekannte und hierzulande auch nicht so bekannte Französinnen hielt. Nachdem dies Corona-bedingt im letzten Jahr nicht möglich war, freuten sich die vielen Frauen – und drei tapfere Männer – sichtlich auf die Frauen-Geschichten, die Bohn mitgebracht hatte. Denn dieses Mal porträtierte sie nicht eine Französin, sondern stellte gleich fünf Frauen vor, die unterschiedlicher kaum sein konnten.
Den Auftakt machte Annie Ernaux (geb. 1940), die mit dem 1983 autobiografisch geprägten Roman „La Place“ (deutscher Buchtitel: „Das bessere Leben“) eine Wiedergutmachung an den Eltern schrieb, wie Bohn erklärte. Denn Annie wuchs in einfachen Verhältnissen auf und schildert in dem Buch offen, wie ihr Studium und der damit verbundene Eintritt in höhere Gesellschaftsschichten von ihrem hart arbeitenden Vater ermöglicht wurde, was jedoch dazu führte, dass die Tochter seine Tischmanieren und Sprechweise kaum noch ertrug. „Sie schämte sich zutiefst ihres Vaters“, so Bohn.
Zutiefst bedrückend dann die Geschichte der Gabrielle Russier (29.4.37 – 1.9.69). Die junge Lehrerin unterrichtet an einem Gymnasium, treibt gleichzeitig eine Universitätskarriere voran und ist alleinstehende Mutter von sechsjährigen Zwillingen. Sie will den Muff der 50er Jahre hinter sich lassen, sitzt mit ihren Schülern nachmittags auch mal im Café, ist Anlaufstelle, Sozialarbeiterin und die „Kumpel-Lehrerin“. Doch dann verliebt sie sich in ihren 17jährigen Schüler Christian. Die Eltern, eigentliche progressive Akademiker, stecken ihren Sohn in die Psychiatrie und sorgen dafür, dass Russier angeklagt wird. Eine beispiellose Hexenjagd beginnt, die ganz Frankreich beschäftigt. „Was war der eigentliche Skandal – die Liebesgeschichte oder der Prozess, der ihr alles nimmt: ihre Würde, ihre Arbeit, die Liebe ihres Lebens“, fragt Bohn. Gabrielle Russier ist schließlich am Ende ihrer Kraft und dreht am 1. September 1969 den Gashahn auf.
„Erst 40 Jahre nach ihrem Tod wird ihr der Ruhm zuteil, nachdem sie immer gestrebt hat“, sagt die Vortragskünstlerin über Camille Claudel. Die begabte junge Frau traf mit der Bildhauerei eine gleich in mehrfacher Hinsicht schwierige Berufswahl: Im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es keine weiblichen bildenden Künstler, zudem war die Bildhauerei körperliche Schwerarbeit. Claudel wurde die Schülerin und Geliebte Auguste Rodins, löst sich schließlich von ihm und macht sich selbstständig. Doch das scheitert, sie fängt an zu trinken, wird psychisch krank und von der Familie in eine Irrenanstalt gesteckt, aus der sie nie wieder heraus kommt.
Von der in Frankeich sehr bekannten Anwältin Gisèle Halimi (1927 – 2020) erzählt Bohn die Geschichte der zu engen Bindung an ihre Enkelin Maud. Die sonst so kopfgesteuerte Frau, die sich immer eine Tochter gewünscht, aber „nur“ Söhne bekommen hatte, sieht in Maud die Vervollkommnung ihres Lebens und entwickelt eine geradezu symbiotische Beziehung zu dem Mädchen, bis sie von den Eltern schließlich von einem Tag auf den anderen beendet wird.
Zum Ausklang stand dann etwas Heiteres: Die Schauspielerin Pauline Carton (1889 – 1974) verkörperte mit großem Erfolg Dienstmädchen und andere einfache Frauen und machte ihre Hässlichkeit und Schlagfertigkeit zu ihrem Markenzeichen. Bohn zitierte sie mit den Worten: „Ich habe das Glück, eine Papageienstimme, eine Knollennase und eine Vorliebe für Dienstmädchenrollen zu haben.“
ggr